Ich bleibe hier!

Der Hof, Bezugspunkt im Bersntol

Sturheit gilt allgemein als Fehler. Der alte Onkel Jacopo sah das offensichtlich anders. Sonst hätte er schon längst sein Leben verändert. Er wäre in eine große Stadt gezogen, nach Mailand oder Turin, wo er sich als Arbeiter verdingt und in einer diesen modernen Wohnungen mit Heizkörpern geschlafen hätte. Festes Monatsgehalt und Lohnfortzahlung bei Krankheit. 

Er dagegen hatte beschlossen, zu bleiben. Um dem Berg Land abzugewinnen, einen Stein nach dem anderen. Um die bewaldeten Steilhänge urbar zu machen. Die dabei angefallenen Steine dienten ihm dazu, Bachläufe zu befestigen und seine Grenzen zu markieren. 

Auch an jenem Tag war er vor Sonnenaufgang aufgestanden und hatte als erstes zum Himmel hinausgeschaut. Dann ein einfaches Frühstück und raus auf die taufeuchten Felder. 

Eiskalte Hände, ein Pflug, der sich nur mühsam durch die harte Erde schafft. Oft hatte er sich gefragt, was ihn zum Bleiben bewogen hatte. Seine Sturheit? Vielleicht. Aber da war noch etwas, das tiefer saß, das er sich selbst kaum erklären konnte. 

An jedem Tag war die Frage besonders aufdringlich. Die Dachschindeln waren kurz vor dem Verrotten und mussten erneuert werden. Schindel für Schindel, eine Plackerei. Er hatte es schon viel zu lange aufgeschoben. 

Der Hof verzeiht nichts. Er ist ein eifersüchtiger Liebhaber. Er verlangt Pflege, ständige Aufmerksamkeit. Für ihn gibt es keine Feiertage, ihn kümmert es nicht, ob du krank oder einfach nur müde bist. Er kennt keine Gnade. 

Aber er ist immer da. Steht bereit, um Schutz und die Wärme des Herds zu bieten, während es draußen schneit.

Famiglia Jòckln., Fierozzo/Vlarotz Auserpèrg, anni ’60, sec. XX, Archif BKI, foto Günther Thien | © Istituto Culturale Mocheno - Thien Günther
Attilio Laner di Frassilongo/Garait espone la merce in una stube Sudtirolese, anni '60, sec. XX | © Fondo Laner A. - Istituto Culturale Mocheno

Daran dachte er, während er Käse machte, in einem kleinen Holzraum (Casello) auf seinem Hof. Denn im Bersntol gab es keine Gemeinschaftsalmen, wo man die Milch hinbrachte; jeder Hof hatte seinen eigenen Raum für die Milchverarbeitung. 

Und er hörte nicht auf, darüber nachzudenken, warum er geblieben war und ob das die richtige Entscheidung gewesen war. Die Mitbürger, die abgewandert waren, kehrten mit ihrem weißen Fiat 600 und einem schönen warmen Mantel ins Dorf zurück. Sie rühmten sich, es weit gebracht zu haben. 

Er hingegen war geblieben, um als Bauer zu arbeiten. Stur wie ein Esel.  

Hertkopfet. *

Er ließ den Eimer im Casello stehen und ging zur Tür des Wohnhauses – inzwischen war es schon dunkel geworden. 

Drinnen warteten seine Frau und seine drei Kinder, die noch zu klein waren, um auf den Feldern mitzuhelfen. Später würde sein jüngerer Bruder Tommaso mit seiner Frau und seinen Kindern kommen. Sie waren hinunter gegangen nach Pergine, zum Markt.** 

Dann würden sie alle zusammen am warmen Herd zu Abend essen. 

Endlich ging ihm auf, warum er sich zum Bleiben entschlossen hatte. 

Er musste sich um den Hof kümmern. Bezugspunkt der Familie, der all das zusammenhielt, was wirklich zählte.***

 


* Ein Wort aus der Mochena-Sprache, das „stur“ bedeutet.

** Im Mòcheni-Tal gab es keine Regelung für geschlossene Höfe. Der Hof wurde daher nicht allein vom erstgeborenen Sohn geerbt, sondern unter den männlichen Familienmitgliedern aufgeteilt. Jeder erhielt einen Teil des Besitzes, wo er allein oder mit seiner Familie lebte. So entstanden im Laufe der Zeit neben dem Haupthaus weitere Wohnhäuser, wodurch kleine Siedlungsgruppen entstanden, die das Landschaftsbild bis heute prägen.

*** Das italienische Wort für Hof „Maso“ leitet sich vom lateinischen mansum oder mansus ab, dem Partizip Perfekt von manēre = „bleiben, verweilen“. 

Das Bersntol

Zwischen Mythos und Realität
WEITER ZUM ABSCHNITT
Veröffentlicht am 15/12/2025