Die Welt in einem Wort

Eine Reise durch die Sprache der Mòcheni.

Jede Sprache ist eine Art, die Welt zu betrachten. Sie verändert den Rhythmus der Gedanken, den Klang der Gefühle, die Art und Weise, wie wir mit anderen umgehen. Auf Mochenisch zu sprechen bedeutet, eine Dimension zu betreten, in der die Geschichte zu einer Stimme wird, in der die Vergangenheit keine Erinnerung ist, sondern eine tägliche Geste, die eine kollektive Identität am Leben hält.

Das Val dei Mòcheni, umgeben von den Bergen des östlichen Trentino, hütet diese alte und hartnäckige germanische Sprache, die noch heute von denjenigen gesprochen wird, die sie zu einem natürlichen Bestandteil ihres Lebens gemacht haben.
«Zuhause mit meinen Eltern und Großeltern spreche ich Mòchenisch, ohne mir dabei Gedanken zu machen, aber wenn ich nach Trento fahre oder mit Leuten von außerhalb arbeite, wechsle ich ins Italienische oder in den Trentiner Dialekt. Es ist, als ob jede Sprache einen anderen Teil von mir einschaltet: Mòchenisch ist die Wurzel, Italienisch ist die Brücke zur Welt.»

 

Der Klang der Identität

Wer unter mehreren Idiomen lebt, weiß, dass jedes einer eigenen Wahrnehmung entspricht. Die mòchenische Sprache ist langsam, melodisch und voller naturbezogener Erscheinungsbilder. Für manche Wörter gibt es keine genaue Entsprechung im Italienischen: Sie beschreiben Gesten, Gefühle oder Beziehungen zur Landschaft, die andere Sprachen nicht wiedergeben können.

Es gibt Begriffe, die sich auf das Leben auf dem Bauernhof, auf die Rhythmen des Waldes und auf die Großfamilie beziehen. Und es gibt auch moderne italienische Wörter - wie die für "Computer" oder "Handy" -, für die es noch keine gemeinsam genutzte Übersetzung gibt: Sie werden angepasst oder einfach in ihrer ursprünglichen Form belassen, was beweist, dass auch eine antike Sprache mit der Gegenwart koexistieren kann.

Eine Reise durch die Sprache der Mòcheni.

Träume und Redewendungen

«Ich träume immer auf Mòchenisch, wenn ich im Traum zuhause bin. Als ob das Gehirn wüsste, wo ich mich befinde: Wenn ich von den Bergen träume, höre ich die Worte meiner Eltern; wenn ich von der Arbeit träume, spreche ich Italienisch.»
Die Grenze zwischen den Sprachen ist nicht eindeutig: Sie ist ein ständiger Übergang von Bedeutungen, ein interner Dialog, der die Identität formt.

Auch die Redewendungen sagen viel aus. In der mòchenischen Sprache gibt es zum Beispiel Ausdrücke, die eine direkte, konkrete, fast pragmatische Beziehung zum Alltag offenbaren. Es gibt keinen Platz für Abstraktes: Jedes Wort hat ein Gewicht, einen Geschmack, eine Verbindung zur Erde. Einige syntaktische Strukturen scheinen ein Volk zu offenbaren, das in der Gegenwart lebt und auf das achtet, was hier und jetzt geschieht - ein bisschen so, wie Leonardo Sciascia bemerkte, als er über die Sizilianer und ihr Verhältnis zur Zeit sprach.

 

Fünf Worte, um das Tal zu betreten

Jede Sprache hat ihren eigenen Zugangsschlüssel. Bevor man ins Valle dei Mòcheni kommt, sollte man zumindest ein paar wichtige Wörter kennen:

  • „Grias de" - hallo, freundlicher und vertrauter Gruß;
  • „haus" - das Zuhause, aber auch Zuflucht, Wärme;
  • „bòlt" - eben der Wald, zentrales Element der Landschaft und der Vorstellungswelt;
  • „muas" - typisches Gericht, Symbol der bäuerlichen Küche;
  • „lem" - "leben", aber auch das Substantiv Leben.

Fünf Worte, fünf Türen zu einer Welt.

Eine Reise durch die Sprache der Mòcheni.

Sprache und Zukunft

Die mòchenische Sprache ist kein Museumsstück. Sie ist eine lebendige Sprache, die in den Schulen gelehrt, für öffentliche Schilder verwendet und auf Sprachfesten erzählt wird. Vor allem aber ist sie eine Sprache, die sich erneuert: Sie nimmt neue Begriffe auf, passt sie an, formt sie nach ihren eigenen Klängen um. So bleibt eine Gemeinschaft lebendig, trotzdem sie sich selbst treu bleibt.

Wer die mòchenische Sprache lernen möchte, kann es durch Kurse, Workshops und Online-Materialien tun, die vom Kulturinstitut Istituto Culturale Mòcheno angeboten werden. Aber der beste Weg bleibt nach wie vor der selbe: mit denen sprechen, die mit dieser Sprache leben, Geschichten anhören, sich vom Rhythmus der Worte anstecken lassen.

 

Ein Sprichwort zum Lächeln

Wie in jeder bäuerlichen Kultur hat auch das Mòcheno seine ironischen und zugleich weisen Sprichwörter. Zum Beispiel:

- pesser an larn piatt as a lara pfònn (lieber einen leeren Teller als eine leere Pfanne). Neben dem offensichtlichen Bezug zur Küche kann das Sprichwort auch im übertragenen Sinne verstanden werden: Es fordert dazu auf, mit dem, was man besitzt, umsichtig umzugehen. Die Pfanne steht für die Grundlage der Mahlzeit, während der Teller nur das Endergebnis ist.

- de pèrng stea' still, ober de lait trèffen se bider (die Berge stehen still, aber die Menschen treffen sich wieder). Ein Hinweis darauf, dass Menschen trotz Entfernungen oder Schwierigkeiten immer einen Weg finden, miteinander in Kontakt zu bleiben.

- mèss drai vert ont schnai a vòrt aloa' (dreimal messen und einmal schneiden). Besonnenheit vor allem! Bevor man eine endgültige Entscheidung trifft, sollte man sich die Zeit nehmen, zu prüfen, Informationen zu sammeln und die Folgen abzuwägen. „Bereite dich sorgfältig vor und handle dann entschlossen, ohne später Fehler korrigieren zu müssen."

 

Eine Welt, die weiterredet

Jede Sprache, die ausstirbt, nimmt eine Vision der Welt mit sich. Heute Mòchenisch zu sprechen bedeutet, sich dem Schweigen der Homologation zu widersetzen und eine Vielfalt zu bewahren, die alle bereichert.
Denn hinter jedem Wort verbirgt sich ein Universum, und hinter jeder lebendigen Sprache ein Volk, das sie weitererzählt.

Valle dei Mòcheni

Zwischen Mythos und Realität
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Veröffentlicht am 25/11/2025