Jacopo Mazzonelli. To be played at maximum volume
In der Stadtgalerie von Trient trifft die Musik der bildenden Künste in einer großen persönlichen Ausstellung, die dem jungen trentiner Künstler gewidmet ist
Jacopo Mazzonelli (Trento, 1983) studierte Klavier und zeitgenössische Musik an der internationalen mailändischen TEMA Akamdemie
Mazzonelli realisiert Skulpturen und Installationen, welche die breite Grenze zwischen bildende Kunst und Musik untersuchen. Seine Forschung nutzt Techniken und Methoden, die aus verschiedenen Disziplinen ausgeliehen werden
Die Ausstellung wurde von Margherita de Pilati kuratiert, Leiterin der Stadtgalerie und von Fassi, kurator der Abteilung der visuellen Künste am Steirischer Herbst festival von Graz
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Jacopo Mazzonelli als Erfinder einer bedeutungsvollen Objektsemantik sowie als einen kreativen Gestalter von signifikanten visuellen Sinnkonstellationen zu bezeichnen, dies dürfte ziemlich exakt den Kern seiner künstlerischen Anliegen treffen. Er ist ein in höchstem Maße von gedanklichen Ideenfindungen ausgehender Künstler und er agiert dabei auf einem hohen intellektuellen wie schöpferischen Reflexionsniveau, auf dem er mit äußerst komplexen inhaltlichen Überlegungen und mit anspruchsvollen interdisziplinären Verknüpfungen seine metaphorischen Werkkonzepte entwirft. Zu den Basismotiven seines Schaffens zählen dabei Themen wie die Zeit und der Zeitrhythmus, das Werden und das Vergehen, die Geschichtlichkeit, die Erinnerung, die Spurensuche oder auch die Prozesse der Evolution.
Ein Beispiel für die Rekonstruktion von gelebtem Leben in Form der Fixierung von Relikten, über die ein erzählerischer Bezug zu einer längst verflossenen Vergangenheit hergestellt werden soll, ist die Arbeit mit dem Titel „Toronto“, die aus vierzehn quadratischen Holzplatten besteht, die vom Künstler in drei Vierergruppen, die sich einzeln wieder zu Quadraten formieren, und in eine übereinander angeordnete Koppelung von nur zwei Quadraten gegliedert wurden. Diese Viererformationen sind mit etwas Abstand und nur, – als zweite Position von rechts –, durchsetzt von dem hochrechteckigen Zweierformat, gleichmäßig nebeneinander positioniert, wobei sie eine malerisch erzeugte Oberflächenbehandlung vorweisen, die an rötliche Erde, an Sand, an Sedimente oder an Rost erinnert. Doch all dies ist offenkundig nur der Fond, denn die eigentlich auffälligen Elemente sind altertümliche eiserne Schlittschuhkufen, die paarweise in einer Konstellation auf den Platten arrangiert sind, die einerseits zufallsbedingt sein könnte, die aber andererseits aber auch die Anmutung einer gewissen Regelmäßigkeit vermittelt, die letztlich eine willkürliche Verteilung ausschließt. Jedenfalls handelt es sich um Modelle von Kufen, die einst an den Sohlen von Schuhen befestigt waren, doch von diesen wie auch von denen, die diese Schuhe getragen haben, fehlt jede Spur und dies wiederum führt zu dem Schluss, dass wir es hier mit Artefakten in einer archäologischen Fundsituation zu tun haben, die Mazzonelli simuliert. Aufklärung verschafft schließlich ein Objekt, das mit der Wandarbeit korrespondiert und das aus einem dreibeinigen Stativ besteht, auf dessen Spitze ein Glaskubus montiert ist, in dem man ein altes, möglicherweise in den zwanziger Jahren entstandenes Foto betrachten kann, das eine Gruppe von vier winterlich bekleideten Mädchen zeigt, die sich auf einem zugefrorenen See zum Schlittschuhlaufen zusammengefunden haben und die, sich teils lachend an den Händen haltend, für einen Fotografen posieren. Auf dem Foto, das Mazzonelli im Historischen Archiv von Toronto entdeckte, hat er die Beine wegretuschiert, aber die Disposition der Schlittschuhkufen auf den Platten entspricht exakt den Beinstellungen, welche die jungen Frauen im Moment der Fotoaufnahme eingenommen hatten.
Eine Arbeit, die sich kritisch mit den oft ideologisch bedingten Denkstandards der Völker- und Rassenkunde auseinandersetzt ist „Taxa“ oder in deutscher Sprache „Taxon“, ein Begriff, der in der Zoologie und Biologie Verwendung findet und der die künstliche Klassifizierung und Einordnung von Lebewesen in abgegrenzte Einheiten wie z. B. Stamm, Art, Rasse etc. bezeichnet. Betroffen durch die technokratische Anwendung der zoologischen Systematik auf Menschen in einem medizinischen Wörterbuch von 1951, in dem er 4 Bildtafeln mit Rassentypen aus allen Erdteilen fand und dazu auch die entsprechenden Klassifizierungen, entwickelte er eine Präsentation, bei der er Reproduktionen der Abbildungen dieser rassistisch definierten Phänotypen auf Glasplatten übertrug und diese Platten auf Konsolleisten so verteilte, dass die Gesichter sich überdecken und sich somit rassentheoretisch egalisieren und neutralisieren. Das Thema Zeit und Zeitwahrnehmung durch Rhythmisierung des Zeittaktes bis in die Unendlichkeit liegt dem Werk „8601“ zugrunde, wobei der Titel sich auf den Begriff ISO 8601 bezieht, was wiederum die Bezeichnung für den internationalen Standard der Darstellung von Daten und Zeiten ist. Auf einem kleinen Monitor sieht man einen Ball, der in einer permanenten gleichförmigen Bewegung auf den Boden aufprallt, danach wieder hochspringt und zurückfällt, wobei diese repetitive Sequenz, die keinen Anfang und kein Ende kennt, mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgenommen wurde und so in Zeitlupe abläuft. Dabei zählt, wie der Künstler selbst kommentierte, nicht die pulsierende Aktion selbst, sondern die Erwartungsspannung, welche bei jedem Aufprall des Balls aufs Neue provoziert wird.
Klaus Wolbert
QUelle: http://www.vaf-stiftung.de/kunstpreis/uebersicht/kunstpreis-2014/teilnehmer/jacopo-mazzonelli/