Fliegen in den Bergen

Ein Rundflug über Almen und Gipfel mit dem Pilot Mario Marangoni

„Das Fliegen in den Bergen ist eine Art, mit der Natur in Beziehung zu treten und die Achtung vor ihr zu lernen. Man muss konzentriert sein, bis man eins wird mit der Luft. Nicht gegen sie angehen, sondern sich ihr anpassen, mit dem Wind gehen und sich ihn zunutze machen. Man muss spüren, wie die Natur uns trägt, während man in der Luft ist. Im Einklang mit ihr atmen.“

So äußert sich Alessandro Marangoni, Gebirgspilot und begeistertet Luftfahrthistoriker.

„Es ist ein umwerfendes Gefühl, das von starken Kontrasten lebt. Gerade ist man noch zwischen den Berggipfeln und dann spürt man plötzlich das Tal unter sich, als ob man am Rande eines Abgrunds stünde.

Eine herausfordernde Erfahrung. Man darf nicht die Ruhe verlieren und auch nicht anhalten. Man muss sich ganz auf sich selbst verlassen. Es erfordert extreme Selbstbeherrschung, viel Mut und eine Prise Wagemut.“

 

KOPFBILD: 1976 Malga Agnelezza - TN 1940 mt
BILD UNTEN: 1986 Pasubio TN 1800 mt RM_RID

Fliegen in den Bergen des Trentino

Was bedeutet es, in den Bergen zu fliegen?

„Fliegen in den Bergen ist eine Geschichte für sich“, erklärt Alessandro. „Zunächst muss man sich in den Bergen auskennen. Man muss eine Vorstellung von den Windbewegungen haben, die Aufwinde und Wirbel voraussehen, wissen, wie und wo sich durch die Sonnenwärme Luftblasen bilden, die Stellen erkennen, an denen Kaltluft nach unten drückende Strömungen erzeugt. Man muss die Elemente kennen und respektieren.

Es ist kein Duell mit der Natur, sondern eine Art, mit ihr in Verbindung zu treten. Daher erfordert das Fliegen Feingefühl, im Sinne eines aufmerksamen Wahrnehmungsvermögens in Bezug auf die Umwelt und ihre Feinheiten.

„Man muss alles einkalkulieren. Auf jedes Detail achten. Da man keine belaubten Bäume hat als Anhaltspunkt für die Windbewegung, muss man andere Dinge beobachten, sogar das Verhalten der Kühe auf der Weide. Ihre Position, ihre Bewegungen können wertvolle Informationen liefern.“

Es ist höchste Konzentration gefragt, aber die Natur belohnt einen, indem sie sich in ihrer ganzen malerischen Schönheit zeigt.

„Vom Himmel aus einen Sonnenuntergang mit Alpenglühen über den Dolomiten zu erleben, löst unbeschreibliche Emotionen aus. Man sieht zu, wie die Sonne hinter den Gipfeln verschwindet und den ganzen Berg in rötliche Farbe taucht. Vom Flugzeug aus bietet sich die ganze Farbpalette. Es ist, als würde man das Licht einfangen. Ein kurzer, aber sehr intensiver Moment. Und er gehört ganz einem selbst. Man kann ihn nicht teilen – nur davon erzählen, aber das ist natürlich kein Vergleich.“

 

BILD UNTEN:  1976 Marmolada 3050 mt 

Fliegen in den Bergen des Trentino

Fliegen, um zu helfen

Das Fliegen in den Bergen ist nicht nur ein Erlebnis als solches. Von den ersten Ballonfahrten Ende des 19. Jahrhunderts bis zu den Landungsversuchen auf dem Eis (gegen Anfang des 20. Jh.s) hatte das Fliegen in den Bergen immer einen praktischen Zweck.

Vorrangig zur Rettung von Bergsteigern in Not, um sie ins Tal zu bringen oder mit Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen. Oder zur Überwachung der Berggebiete und zur Kontrolle über strategisch bedeutsame Stellen. Z.B. wurden während des 2. Weltkriegs die ersten „Flugfelder“ in den Alpen angelegt, Landebahnen zwischen Eis und Felswänden.

„Auch wenn heute die Bergrettung hauptsächlich Hubschrauber einsetzt, spielen Flugzeuge in den Bergen weiterhin eine wichtige Rolle“, erklärt Alessandro.

„Flüge in den Bergen dienen der Auskundschaftung und Luftaufklärung. Wir sind die ersten, die Anfänge von Waldbränden entdecken, und können so die Feuerwehr rechtzeitig alarmieren. Bis das Feuer vom Boden aus sichtbar wird, ist es meistens schon zu spät.“

Seit den ersten Flügen in den Bergen sind fast hundert Jahre ins Land gegangen, doch die Gründe fürs Fliegen sind die gleichen geblieben. Ebenso wie die Landepisten, kaum mehr als schmale weiße Streifen zwischen den Felsen.

 

BILD UNTEN: 1974 Improvvisa Nevicata 

Fliegen in den Bergen des Trentino

Die Pioniere der Bergfliegerei

Kurze Schneepisten, manchmal ansteigend und begrenzt durch Felswände und Eis. Weit abgelegen von allem. Das bedeutet, dass bei einem Unfall keine Rettungskräfte bereitstehen, um schnell einzugreifen.

Das haben die heutigen Piloten von Bergflügen immer noch gemeinsam mit den Pionieren dieser Disziplin. Piloten wie der Schweizer Hermann Geiger, der Franzose Henry Giraud oder der Italiener Corrado Gex. Aber auch Piloten aus dem Trentino, die zu den ersten in Europa gehörten, die lernten, zwischen Gipfeln zu fliegen und im Hochgebirge zu landen.

Männer wie Rodolfo „Rudy“ Benini, der eine Schlüsselrolle bei der Entstehung der Scuola Nazionale di Volo in Montagna (der Nationalen Gebirgsflugschule) spielte, und dem das Projekt des neuen Flughafens in Trento Sud zu verdanken ist.

Umberto Venturini war von 1975 bis 1986 Direktor dieser Nationalen Gebirgsflugschule in Trento, aber vor allem Pilot, Fotojournalist und buchstäblich „fliegender“ Reporter, der mit seinen Aufnahmen wertvolle Zeugnisse der Fliegerei in den Bergen des Trentino hinterlassen hat.

Der Major Giuseppe „Beppino“ Dellai hat sich als Ausbilder des Aero Club Trento in den späten 1960er Jahren einen Namen gemacht. Der in Treviso stationierte G91-Pilot verließ nach Ende seiner Dienstzeit als Ergänzungsoffizier-Pilot die Streitkräfte und kehrte ins Zivilleben zurück. Alitalia versuchte mehrmals, ihn anzuheuern, und er nahm schließlich die Stelle als Fluglehrer I im Aero Club Trento an. 2019 wurde er zum Ehrenmitglied der italienischen Gebirgspilotenvereinigung ernannt.

Der Cavaliere Mario Marangoni war von 1978 bis 1982 Vorsitzender des Aero Club Trento, und wurde 2002 zum Präsidenten der Italienischen Gebirgspilotenvereinigung und 2011 zum Ehrenmitglied ernannt. Als Präsident und Mitglied mehrerer Stiftungen und Finanz- und Forschungsgesellschaften wurde er 2005 in die TIA Hall of Fame in Las Vegas aufgenommen.

Dass sich die Flieger-Tradition auch heute noch fortsetzt, ist dem Engagement von Menschen wie Alessandro Marangoni zu verdanken: Marios Enkel ist selbst begeisterter Fan der Luftfahrt. Alessandro ist nicht nur Bergpilot, sondern restauriert auch alte Flugzeuge und erweckt sie zu neuem Leben. Zu den Highlights seiner Sammlung gehört ein Nachbau einer historischen Caproni Ca.100.

Die perfekte Verbindung zwischen der Gegenwart des Fliegens und einer glorreichen Vergangenheit.

Um die Geschichte der Luftfahrt zu entdecken, lohnt sich ein Besuch im Luftfahrtmuseum Gianni Caproni in Trento. Außerdem kann man an den zahlreichen Initiativen von Kilometro Azzurro teilnehmen. Höhepunkt ist das Festivolare, eine der Welt der Luftfahrt gewidmete Flugschau, die jedes Jahr tausende von Menschen jeden Alters auf den Flughafen Trento lockt.

An zwei Tagen kann man hier Flugvorführungen und Flugzeugausstellungen erleben, Piloten treffen und sich von modernen und Oldtimer-Flugzeugen Geschichten von Courage, Leidenschaft und Liebe zu den Bergen erzählen lassen.

Veröffentlicht am 22/07/2025