Eleonora “Noris” Cunaccia

Schönheit der Schönheit zurückerstatten

„Es wird uns allen bewusst, dass das was wir Essen, uns nicht mehr ernährt, es füllt unsere Bäuche, wie man so schön sagt, aber es sind Lebensmittel, die keinen Mehrwert mehr bieten. Die Natur aber vielleicht schon, weil sie der Intelligenz des Samens entspringt“.

Eleonora Cunaccia sammelt seit ihrer Kindheit essbare Wildpflanzen, Beeren, Wurzeln, Harze und all diese spontanen nahrhaften Früchte der Berge. Im Laufe der Jahre ist „das Spiel“ zu einer Leidenschaft und dann sogar zu einer Mission herangewachsen, ihr ganz persönlicher Schlüssel zum Zugang der gewaltigen Enzyklopädie der Natur, die Grammatik, mit der sie das Leben des Waldes, der Berge, des Planeten interpretiert und ins dritte Jahrtausend geleitet.

Ihr zu begegnen ist nicht leicht, denn ihr Leben spielt sich im Wald ab, wo sie Zuflucht sucht, studiert, forscht und die Grundlagen für die Zukunft und den Lebens- und Artenerhalt schafft. Ihre Mission sind die Aromen, der Geschmack der Natur. Ihre Studien teilt sie mit Gastronomen, Gastrosophen, Soziologen, Naturforschern, Landwirten, Bergsteigern, Züchtern, Köchen, Künstlern, Unternehmern und Forschern aus aller Welt. Ihre Höhle befindet sich an den Hängen der Berge des Naturparks Adamello Brenta, aber ihre Forschung ist global und erregt die Aufmerksamkeit von Exzellenzzentren und -institutionen der ganzen Welt.

Madonna di Campiglio - Pinzolo - Val Rendena

Foraging

Foraging bedeutet nicht einfach Kräuter zu essen, es geht vielmehr um die Kenntnis, die man von den Orten, den Menschen und der Erde hat“, erklärt uns Noris, die Frau, die - mit den Worten von Norbert Niederkofler in Cook the Mountain, dem Manifest der internationalen Bewegung, die durch die Wiederbelebung der Tradition alpenländischer Kost für den Schutz des Planeten kämpft - mit den „Beinen in der Vergangenheit steht, mit dem Kopf aber in der Zukunft lebt“.

Das Ernten und die Ernährung mit Wildkräutern aus dem Wald sind eine uralte Praxis, die seit Anbeginn der Zeit besteht. Das was vor Jahrhunderten fast eine Notwendigkeit war, stellt heute die Eroberung einer Welt voller Aromen und Köstlichkeiten von fast exotischen Anklängen dar. Und doch ist es eine Beschäftigung, die viel mehr ist, als eine einfache Geschmackserfahrung oder Erlebnis der Wildnis: es ist eine Aktivität, die Studium, Wissen, Intelligenz und Freundlichkeit erfordert, und die mit Respekt für die Natur ausgeführt werden muss.

Noris fährt fort: „Auch das ist Teil des Verständnisses der Berge, nachzuvollziehen was in jedem einzelnen Bereich des Gebiets vorherrscht, was seine Bedürfnisse und Grenzen sind. Das kann man nicht aus Büchern lernen, dafür braucht es Kurse. Du musst die Pflanzen in die Hand nehmen, sie ohne Eile beobachten, eine nach der anderen. Die Kräuter dürfen nur dann geerntet werden, wenn es die Jahreszeit zulässt. Der Wald ist keine Speisekammer, wir können uns nicht einbilden, das nehmen zu können, nach dem uns gerade ist, das käme sonst stehlen gleich. Wir benötigen eine Umwelterziehung“. Und sie fügt hinzu: „Der Mensch ist Gast auf dieser Welt. Wir haben es in der Vergangenheit schlimm getrieben und müssen heute eine enge Verbindung mit der Natur eingehen, damit wir nur das nehmen, was die Natur in der Lage ist, uns zu geben.“

„Man muss den Wald mit gebührendem Respekt betreten, mit den unschuldigen Augen der Kinder, Tiere und Verliebten. Man muss sehr streng mit sich sein, ich bin wirklich unnachsichtig mit mir selbst. Nichts darf improvisiert werden. Kräuter können sehr gefährlich sein.“

Noris erinnert uns daran, dass es notwendig ist, Gewissheit zu haben, denn allein in Italien gibt es Tausende an Kräutern. Und das von ihr, die sich nach ihrer lebenslangen Erfahrung und Forschung weiterhin täglich mit Botanikern und Ethnobotanikern auseinandersetzt. „Dem Anfänger rate ich immer: gehe die Sache langsam an, ein Kraut nach dem anderen. Das Sammeln muss erlernt werden. Vielleicht fängst du mit einer einfachen Pflanze, wie dem Löwenzahn an und selbst hier darf man nichts falsch machen. Und was machst du dann mit dem Löwenzahn? Du musst lernen, ihn zu pflücken, ihn von anderen zu unterscheiden, zu reinigen und dann dein Menü zusammenstellen. Es gibt kein Grundrezept für alles. Jedes Mal, wenn ich ein Kraut in die Hand nehme, verbringe ich Monate damit, es zu verstehen.“ Denn jeder Teil der Pflanze entwickelt in jedem Moment seiner jahreszeitlichen Entwicklungsphasen unterschiedliche Aromen, im Samen, im Stängel, in den Blättern, in der Blüte. Für Noris geht es darum, sie zu zähmen, um anzufangen, wie sie zu denken.

Geschichten aus dem Trentino: Eleonora „Noris“ Cunaccia

Die Intelligenz des Samens

„Wenn ich mich im Wald verlaufen würde, könnte ich eine ganze Weile überleben. Ich weiß, wo die Pflanzen wachsen, wann man sie pflücken und wie man sie nutzen kann.“

Ein Kraut zu verstehen, bedeutet für Noris, es in seine Bestandteile zu zerlegen, all seine Aromen zu verstehen. Ihre Forschung umfasst den gesamten Lebenszyklus der Pflanze, von der Wurzel bis zur Blüte. Und dann ist es Zeit zum Experimentieren, um herauszufinden, wie man aus jedem der Teile das Beste machen kann, durch Gärung oder Austrocknung. Erst wenn sie das verstanden hat, kann sie sagen, die Pflanze zu kennen und das ist dann der Moment, in dem in ihrem Labor, Primitivizia, Produkte entstehen, die von Chefköchen aus aller Welt begehrt werden.

Die Zeit diesen Wissensstand zu erreichen, bedeutet Respekt vor dem, was jede Pflanze zurückzugeben vermag. „Alle Pflanzen unterscheiden sich voneinander, ich habe noch nie zwei gefunden, die genau die gleiche Form haben. Pflanzen sind wie die Menschen. Sie gehört einer Rasse an, aber jede hat ihre Seele und Individualität. Ich habe das Gefühl, dass ich sie verstehen muss. Mit Löwenzahn, zum Beispiel, kann ich mindestens zehn verschiedene Speisen zubereiten. Die Pflanze, angefangen bei ihren Wurzeln und dem Samen, ist ein Teil des Ganzen. Sie muss wie ein Buch gelesen werden. Die Natur selbst muss gelesen, gespürt werden.

Nach der Blüte gibt es im Herbst die Samen der Blume, die nach Zitrusfrüchten schmecken ... der Geschmack der darauffolgenden Jahreszeit ...

 

Unterstützung, Konsequenz, Freundlichkeit

In Noris' Labor sind Spuren all ihrer Weggefährten zu finden, die sie zu dem Menschen gemacht haben, der sie heute ist. Freunde, die ihr, auch nachdem sie leider fort waren, ihr Teile ihrer Welt und ihres Lebens hinterlassen wollten. Denn der Berg ist Einsamkeit und Mühe, aber auch und vor allem Begegnung, Austausch, Unterstützung. Und Gefühl. Das schöne Gefühl, welches dir die Beständigkeit der eigenen Ziele und Überzeugungen und Freundlichkeit vermittelt. Freundlichkeit gegenüber der Natur, die dir Freundlichkeit gegenüber allen Lebewesen lehrt, einschließlich den Männern und Frauen, was absolut nicht selbstverständlich ist. Freundlichkeit, die einem anschließend zurückgegeben wird.

Und dann sind da noch die Stiefel… sogar die von Giuseppe Šebesta, dem berühmten Trentiner Dokumentarfilmer und Ethnographen. Noris behält sie alle: „Stiefel sind für mich ein unverzichtbares Werkzeug. Sie sind viel gewandert, sie haben viele Reisen gemacht, sie sind Zeugen eines Zeitalters, eines Jahrgangs. Wenn sie ihre Arbeit getan haben, musst du sie aufgeben, aber sie bleiben hier bei mir, um mir Gesellschaft zu leisten. Ich habe zweihundert Paar, eine Sammelleidenschaft, einige sind echte Sammlerstücke“. Andere sind so abgenutzt, offen, zerschnitten, dass es unmöglich scheint, sie so lang benutzen haben zu können.

 

Dankbarkeit

„Die Vision des Waldes ist eine Gesamtvision. Dort kann ich viele Nuancen ausmachen, denn die Berge, wie die Welt an sich, kann nicht einfach benutzt und gegessen werden; es ist ein Privileg für mich, an einem so wunderschönen Ort leben zu dürfen, aber er ist nicht nur für mich, er gehört allen, die ihn lieben. Es ist wirklich an der Zeit, ein Gleichgewicht zu finden, und wir alle müssen daran arbeiten. Ein Gleichgewicht mit der Natur, nicht in der Natur, mit der Natur. Gleichgewicht sind für mich die kleinen Entscheidungen, die man jeden Tag für die Natur trifft“.

Und die Natur bedankt sich jedes Mal und gibt zurück. Sie revanchiert sich durch das Quellwasser, dem Noris auf ihrem Weg begegnet, durch die Kräuter, über die sie für das Abendessen stolpert, durch das Glücksgefühl, das sie fähig ist zu vermitteln. „Die Dolomiten. Siehst du sie? Sie sind ein kollektives Gut, das allen gehört, in einer globalen Welt. Alles was du hier um dich herum siehst, gehört uns, dem Gemeinschafts-Uns, ein kleines Stückchen gehört auch mir, aber es ist unteilbar, es kann niemals verkauft oder gekauft werden. Lohnt es sich, sich darum zu sorgen?". Die Antwort ist ja.

Vor fünf Jahren beauftragte die Asuc (Amministrazione Separata dei beni frazionali di uso civico), die Eigenverwaltung bürgerlicher Nutzungsrechte - die Behörde, die das kollektive Eigentum von Fisto, einem kleinen Ortsteil von Spiazzo, mit etwas mehr als 200 Einwohnern, verwaltet - Noris mit der Verwaltung der Hütte des Nambino-Sees, auf 1800 Metern Höhe, um diese in ein internationales Forschungszentrum für Wildkräuter umzuwandeln. Ein Ort von außerordentlicher Schönheit, an dem Noris sich dazu verpflichtet fühlt, weiterhin noch mehr Schönheit hinzuzufügen. Sichtbare Schönheit und weniger exponierte Schönheit, die der Erde unterhalb der Oberfläche, eine so faszinierende Welt, auf die sich ein Teil ihrer Forschung konzentriert, weil sie immer noch intakt, primitiv, jungfräulich geblieben ist, der perfekte Ort, an dem man neu erlernen kann, die Welt jenseits der Kruste zu betrachten.

Denn „in der Natur gibt es weder Positiv noch Negativ. Alles ist zu etwas nützlich und alles hat einen Sinn. Und so ist es auch für uns. Egal ob im Meer oder im Wind. Die Hauptsache ist, sich in der Natur aufzuhalten.

Danke, Noris.

Die neue Trentiner Küche

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Veröffentlicht am 10/03/2022